4 Fragen an Martina Thomas zur betrieblichen Weiterbildung in der digitalen Transformation 

Interview mit Martina Thomas der FernUniversität in Hagen

Liebe Martina, herzlich willkommen im Zukunftszentrum KI NRW. Es freut uns mit Dir eine Bildungswissenschaftlerin an Bord zu haben. Du hast in der Vergangenheit in praxisnahen Forschungsprojekten zur betrieblichen Weiterbildung geforscht und dazu bspw. im Springer Verlag veröffentlicht. Wie können aus Deiner Sicht Unternehmen das Thema Weiterbildung und damit auch das Thema Fachkräftesicherung erfolgreich angehen?

Es gibt da sicherlich nicht die eine Erfolgsformel und es spiegelt sich ja auch in der Weiterbildungsstatistik wider, dass es beim Thema betriebliche Weiterbildung gewisse Betriebsgrößeneffekte gibt. Je größer ein Unternehmen, desto wahrscheinlicher ist es, dass es dort Weiterbildungsmöglichkeiten gibt, die häufig auch spezifisch auf die betrieblichen Bedarfe abgestimmt sind. Kleine und mittlere Unternehmen tun sich mitunter schwer, Kosten zu stemmen bzw. Weiterbildungszeit aufzuwenden und haben anders als die meisten größeren Unternehmen auch gar keinen ausgewiesenen Weiterbildungsbereich. Doch es greift etwas zu kurz, sich das Thema Weiterbildung nur in Form von Kursen und Seminare vorzustellen. Beispielsweise entstehen im Zusammenhang mit der Umsetzung von Digitalisierung in vielen Unternehmen sehr spezifische Qualifizierungsbedarfe, für die es auf dem Weiterbildungsmarkt keine passgenauen Schulungsangebote gibt. Jedoch kann durch eine partizipative Gestaltung des Einführungsprozesses bereits viel gelernt werden. Zudem können beteiligte Mitarbeiter:innen ihre Kolleg:innen später als Multiplikator:innen in der neuen Technik unterweisen. Auch unabhängig von der Digitalisierung kann man durch eine gewisse Lernkultur und Arbeitsorganisation das Lernen in der Arbeit fördern. Dies wird z. B. über Gestaltungsspielräume, soziale Unterstützung, abwechslungsreiche Aufgabenstellungen etc. gefördert. Eine lernförderliche Arbeitsgestaltung ist wiederum eng mit Kriterien guter Arbeit verbunden, die zu Arbeitszufriedenheit und Gesundheit beitragen und dabei helfen, Menschen im Unternehmen zu halten. Natürlich können nicht alle Qualifizierungsbedarfe auf diesem Weg gedeckt werden. So spricht das 70:20:10-Modell, das im Personalentwicklungsdiskurs eine gewisse Aufmerksamkeit erfährt, dafür, dass ein Großteil direkt in der Arbeit gelernt werden kann. Weitere ca. 20 % werden demnach im betrieblichen Umfeld und nur der geringste Teil wird in klassischen Weiterbildungssettings gelernt. Qualifizierungen, wie wir sie im ZuZ KI NRW anbieten, sind daher eine wichtige Ergänzung zum Lernen in der Arbeit, gerade weil sie häufig sehr betriebsspezifisch ausgerichtet sind.

Siehst Du die Initiative dazu eher bei den Mitarbeitenden sowie deren Vertretung, oder als Führungsaufgabe, also bei den Führungskräften oder der Geschäftsleitung?

Was ich zum Lernen in der Arbeit beschrieben habe, ist nicht zuletzt auch eng mit Fragen der Organisationskultur bzw. der betriebliche Lernkultur verbunden. Hier ist meines Erachtens die Führungsriege rahmensetzend: Welche Handlungsspielräume werden Mitarbeitenden gewährt? Wie selbstbestimmt können sie ihre Arbeit organisieren? Wo können und dürfen ihre Ideen einfließen? Welches Lern- oder Sanktionierungspotenzial ist mit Fehlern verknüpft? Ist Weiterbildung gelebte Praxis oder nur ein lästiges bzw. kostspieliges Unterfangen? Dies alles sind Fragen, die auch eng mit dem Führungsstil in Verbindung stehen und die Organisations- bzw. Lernkultur beeinflussen. Im steten (digitalen) Wandel verändert sich auch die Führungsrolle ein wenig. Denn Führungskräfte sollten Lernprozesse begleiten können und müssen ggf. dafür zunächst selber erst Kompetenzen aufbauen. Wenn eine lernförderliche Kultur gegeben ist, sehe ich durchaus gute Chancen und auch Gründe dafür, dass nicht nur die Arbeitgeberseite, sondern auch Beschäftigte bzw. ihre Interessenvertretungen, verbesserte Lern- und Arbeitsbedingungen initiieren.

Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, um Weiterbildung im Rahmen der Digitalisierung in der Betriebspraxis erfolgreich zu initiieren und langfristig zu etablieren?  

Insgesamt gesehen denke ich, dass dem Thema Bildung mehr Gewicht gegeben werden sollte und greife auf, was der Vertreter eines Branchenverbandes kürzlich auf einer Konferenz zu diesem Thema beitrug. Er sagte: „Innovation fängt mit Bildung an und hört nicht damit auf!“ Deshalb sollte man durchaus strategisch und systematisch über betriebliche Bildung nachdenken: Welche Kompetenzen liegen im Betrieb vor, welche werden zukünftig benötigt? Wer kann sich in welche Positionen hinein entwickeln? Welche traditionellen Bildungsangebote brauchen wir dafür, was können wir intern leisten? Solche Fragen sollten öfters gestellt und mit Handlungsplänen verbunden werden, um Kompetenzen im Betrieb sichern und halten zu können. In strategischer Hinsicht könnten Bildungsfragen zudem gleich mitgedacht werden, sobald Pläne für eine Investition in neue Technologien entstehen. So kann man sich z. B. die Frage überlegen, wie Bedienoberflächen gestaltet werden könnten, um Assistenzfunktionen zu integrieren, so dass ein Kompetenzaufbau in der Arbeit möglich wird.

Gibt es seitens der Regierung Unterstützung oder Fördermöglichkeiten und was sind die ersten Schritte, die ein Unternehmen gehen sollte? 

Der Weiterbildungsbereich ist in Deutschland einerseits kaum staatlich reguliert und gesteuert – wir sprechen hier von einer Verbetrieblichung von Weiterbildung. Andererseits besteht ein ausdrücklich politisches Interesse daran, Weiterbildung beispielsweise aus Gründen der Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit zu fördern. Es gibt Bildungsschecks, Weiterbildungsverbünde, erste Ansätze zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung durch betriebliche Weiterbildungsmentor:innen und vieles mehr. Zahlreiche Förderinstrumente und Beratungsangebote verteilen sich zudem auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene, was es erschwert, einen Überblick zu erhalten. Um sich in dieser mitunter verwirrenden Vielfalt zurecht zu finden, gibt es zentrale Anlaufstellen. Unser Zukunftszentrum KI NRW ist eine davon, insbesondere wenn Weiterbildungsfragen im Zusammenhang mit Digitalisierung und KI auftreten. Alternativ ist der Arbeitgeberservice der Arbeitsagenturen zu nennen, der auch über solche Instrumente aufklären kann, die sich aus dem neuen Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung ergeben, das im Juli veröffentlicht wurde.  

Das Interview führte Dr. Sylke Lützenkirchen.


Kontakt:
Martina Thomas
FernUniversität in Hagen
martina.thomas@fernuni-hagen.de
02331 987-2744 

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